Gemeinsame Presseerklärung der Tübinger Naturschutzvereine zum geplanten Neubau einer Großsporthalle
Landesnaturschutzverband (LNV), Schwäbischer Heimatbund (SHB), Naturschutzbund Deutschland (NABU), Verein zur Erhaltung bedrohter Tierarten und ihrer Lebensräume e.V. (VEbTiL), Touristenverein „Die Naturfreunde“, Arbeitskreis Heimische Orchideen (AHO), Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW), Kreisfischereiverein Tübingen, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)
Hände weg von der Lindenallee
Die Tübinger Natur- und Umweltschutzvereine lehnen den Standort „Lindenallee“ für den Neubau einer Sporthalle kategorisch ab. „Die mittelalterliche Lindenallee stellt ein landesweit einzigartiges Kulturdenkmal dar“, so Frieder Miller vom Schwäbischen Heimatbund. „Es ist völlig unverständlich, dass in dieser 500 Jahre alten Allee mit hoher geschichtlicher Bedeutung für Tübingen gebaut werden soll“.
Zu den schwerwiegenden kulturhistorischen Gründen kommen die ganz besonderen Interessen des Naturschutzes hinzu. Nach Erkenntnissen von Andreas Lämmert (VEbTiL e.V.) kommen in der Lindenallee streng geschützte Fledermäuse vor, die die Allee als Jagdrevier und Wohnquartier benutzen. Auch eine ganze Reihe gefährdeter und geschützter Käferarten wurde nachgewiesen. Diese Käfer sind auf Totholz an alten, starken Bäumen angewiesen.
Die Tatsache, dass Oberbürgermeisterin und Erster Bürgermeister verlauten ließen, dass „angesichts des überwiegend öffentlichen Interesses an der Halle“ es gerechtfertigt sei „die Belange des Naturschutzes hintanzustellen“ empört die Naturschützer ganz besonders. „Naturschutz ist eine öffentliche Aufgabe“, so Martin Engelhardt, Sprecher des Landesnaturschutzverbandes, „und es gibt Grundsatzurteile genug, wonach im Zweifel die Interessen des Naturschutzes Vorrang haben“. „Dass die im Bereich der Lindenallee vorkommenden geschützten und gefährdeten Arten den Bau der Sporthalle an dieser Stelle unmöglich machen, muß der Verwaltung eigentlich längst klar gewesen sein“, sagt Engelhardt. „Aber offenbar hat man, wie so oft, einfach die Belange des Naturschutzes ignorieren wollen“.
Da der Standort außerdem in einer Wasserschutzzone liegt, wäre eine wasserrechtliche Genehmigung notwendig; an diesem Verfahren wäre der Landesnaturschutzverband zu beteiligen. „Die Wahl des Standortes in der Lindenallee können die Naturschutzvereine auch deshalb nicht nachvollziehen weil es einen Alternativstandort gibt“ so Andreas Lämmert (VEbTiL e.V.). „Man müßte dann auch keine neuen Flächen versiegeln“.
„Die nach der europäischen FFH-Richtlinie höchst geschützten Käferarten Eremit (Juchtenkäfer) und Feuerschmied haben zur Zeit ja wohl den Zugriff auf die Lindenallee zu verhindern vermocht, trotzdem werden wir auch in Zukunft alle Möglichkeiten nutzen, Beeinträchtigungen der Lindenallee zu verhindern“, so Engelhardt (LNV).
Lindenallee Tübingen – Kulturgeschichtliche Betrachtungen
(Frieder Miller, Bürgermeister a.D.)
Die Überreste der alten Tübinger Lindenallee sind nicht nur – wie wir bisher immer gehört haben – ein einzigartiges Naturdenkmal, sondern in gleicher Weise ein überragendes Kulturdenkmal. Seit dem Mittelalter führte vom Hirschauer Tor (am unteren Ende der Neckarhalde gelegen) ein Weg am Fuße des Spitzberges in Richtung Hirschau, der aber oft durch den unregulierten Neckar beeinträchtigt war. Zu Zeiten Herzog Ulrichs von Württemberg (Regierungszeit 1498-1550, gestorben und begraben in Tübingen), der sich gerne und viel in Tübingen aufhielt, erbauten im Jahre 1508 Stadt und Land gemeinsam den „Hirschauer Steg“, an dessen Stelle 1896 die Alleenbrücke trat – nach der Sprengung am Ende des zweiten Weltkrieges 1953 wieder aufgebaut.
Zur gleichen Zeit (1508) schenkte die Stadt der Universität – sozusagen zur Verschönerung des Zugangs zu den Universitätsgebäuden rund um die Stiftskirche aus westlicher Richtung – die Anpflanzung der Lindenallee vom Hirschauer Steg bis zur Gemarkungsgrenze nach Weilheim.
„Ohne Zweifel hängt mit der Aufrichtung des Hirschauer-Stegs auch die Anlage der herrlichen Lindengänge zusammen, womit die Stadt die Universität beschenkte, und welche, noch jetzt eine der schönsten Zierden der nächsten Umgebung der Stadt, mehrfach ergänzt und theilweise nachgesetzt, in ihren bemoosten Häuptern sicherlich noch Zeugen der ältesten Zeit der Hochschule enthalten.“ Max Eifert, Geschichte und Beschreibung der Stadt Tübingen, 1849.
Alte Ansichten zeigen, dass am Anfang der Allee in Richtung Weilheim Ruhebänke und Gruber für den sicherlich bedeutenden Fußgängerverkehr in Richtung Stadt und Markt vorhanden waren.
Wo gibt es heute noch eine alte Allee mit vergleichbarem Lindenbäumen?
1896 wurde beim Bau der Alleenbrücke im spitzen Winkel zur Lindenallee und etwa parallel zum Neckarufer der vordere, östliche Teil der sogenannten „Jungen Lindenallee“ angelegt, der 1952 zum 100. Todestag von Turnvater Jahn der Name „Jahnallee“ gegeben wurde.
Etwa ab 1907 reiften die Baupläne für die Ammertalbahn, desgleichen für die großangelegte Neckarkorrektur mit der Anlage des Hochwasserkanals, der aus der Platanenallee und dem Seufzerwäldchen eine Insel machte. 1908-1910 wurde nach den Plänen des bedeutenden Stuttgarter Jugendstil-Architekten Martin Elsäßer die Eisenbahnbrücke – auf den Tunnel hin ausgerichtet – erbaut. Der vom Bahnhof zur Brücke führende Damm durchschnitt sowohl die alte Lindenallee wie auch die Jahnallee. Dies führte zu den heftigsten Auseinandersetzungen in der Bürgerschaft, der Universität und den staatlichen Behörden. Sie sind als der „Tübinger Alleenstreit“ in die Geschichte eingegangen und führten in Stuttgart zur Gründung des „Bundes für Heimatschutz in Württemberg“, dem Vorläufer des Schwäbischen Heimatbundes.
Als am 1. Mai 1910 die Ammertalbahn in Betrieb ging, hatte sich die Stadt bereits zu umfangreichen Ausgleichsmaßnahmen für die Eingriffe in die Alleen verpflichten müssen. Die Uhlandstraße wurde mit den teilweise heute noch stehenden Platanen bepflanzt, ebenerdig bis zum Bahndamm verlängert und mit einer Rampe in die Jahnallee hineingeführt. Diese wurde am westlichen Ende um das doppelt bepflanzte Rondell erweitert, als Spiel- und Festplatz.
Schließlich wurden Ende 1911 die Maßnahmen zur Erhaltung und Neugestaltung der alten Lindenallee beschlossen. Nach den Plänen der Professoren Dr. Robert Gradmann und Dr. Eifert sowie des Stuttgarter Gartenarchitekten Berz sollte der Fußgänger-, Reit- und Fahrverkehr aus der Allee herausgenommen und diese an beiden Enden durch kleine Erd- und Kunstbauten abgeschlossen werden. Prof. Dr. Eifert „hält nicht blos die Erhaltung der alten Allee, sondern ihre Ausgestaltung zu einem verlassenen, möglichst welt- und verkehrsabgeschiedenen Landschaftsbild für das unbedingt Gebotene und für das mit allen Mitteln zu Erstrebende.“ Es wird beschlossen, am Fuße des Bahndamms eine architektonisch ruhig gehaltene, aber monumentale Steinrundbank anzubringen mit einer halbrundförmigen Heckennische dahinter. „Von der Bank hätte man dann den vollen Genuss des Blickes durch die Alleen-achse gegen Westen, und umgekehrt von der Allee aus gesehen, würde die Hecke und (Bahn-)Damm dahinter der Allee einen befriedigenden Abschluss geben, der den Eindruck der gewollten Abgeschiedenheit wohltuend verstärken und so den Schaden, der durch den Damm gestiftet wurde, soweit noch möglich, zu einem ästhetischen Gewinn umwandeln würde.“ Die steinerne Rundbank ist übrigens voll erhalten, sie wurde von dem bedeutenden, neoklassizistischen Architekten Eisenlohr aus Stuttgart (z.B. Erbauer des „Schwabenhauses“) entworfen. Die Rundbank bietet heute allerdings nach Entfernung der Heckennische, direkt unterhalb eines umstrittenen Mobilfunkmastes und einer beschmierten Trafostation keinen ästhetischen Anblick mehr! Der Rektor der Universität, Prof. Dr. Heck, nimmt zu der Angelegenheit am 10. 7. 1911 wie folgt Stellung: „Wir legen Wert darauf, dass die Pflanzung über rein malerische und landschaftliche Wirkungen hinaus auf gartenarchitektonische, raumkünstlerische Wirkungen angelegt wird.“ Der Charakter der „verlassenen Allee“ (möglichst welt- und verkehrsabgeschiedene Landschaftsgebilde-) wird ausdrücklich gutgeheißen.
Zum 450. Universitätsjubiläum 1927 wird am westlichen Ende der Alleen das Universitätsstadion gebaut und das westliche Stück der Lindenallee mit der Aussichtsplattform auf dem ehemaligen Hochwasserdamm abgeschnitten. Dies war der erste Eingriff in den Bestand der Allee. Durch die Bauarbeiten wurde auch die Jahnallee ramponiert, sie wurde bis zum Jubiläum wiederhergestellt. In einem Brief vom 14.5.1927 beschwert sich außerdem der damalige Landeskonservator Schwenkel vom Württemberger Denkmalamt (!) bitter über den Pflegezustand der alten Lindenallee. Bis zum Universitäts Jubiläum hat die Stadt mehrere Auflagen zu erfüllen: Primär sei der „stille Charakter“ der Allee wiederherzustellen. Dafür sei das Reiten zu verbieten, zwei parallel zur Allee verlaufende Fußwege zu verlegen, die Umzäunungen der zwischen Rottenburger Straße und Lindenallee angelegten Spielplätze zu entfernen, die Bäume zu pflegen und abgegangene Linden nachzupflanzen. Die Stadtgärtnerei meldet alsbald Vollzug, bittet aber, bei der Militärverwaltung zu veranlassen, dass die Allee nicht mehr zum Exerzieren gebraucht wird. (Dazu gibt es im Stadtarchiv eine zeitgenössische kolorierte Postkarte, auf welcher das württemberger Militär unter den den großen, alten Linden angetreten ist.)
- 1928 Bau des Wildermuthgymnasiums auf der Ostseite des Bahndamms.
- 1929 wird ein Gesuch des Reit- und Fahrvereins abgelehnt, in den Anlagen einen weiteren Sportplatz anzulegen, da im „Westen der Alleen schon viel zu viel Gelände verbraucht worden sei“
- 1930 wird in den städtischen Gremien erbittert gestritten, ob in den Alleen, besonders in der Jahnallee, Radfahrer zugelassen werden sollen. Die Reitwege werden endgültig aufgegeben.
- 1933 schließlich sind durchgehende Pflegemaßnahmen in der Lindenallee nachgewiesen. An Hohlstellen werden erstmals baumchirurgische Arbeiten vorgenommen, abgegangene Bäume nachgepflanzt.
Die alte Lindenallee behält danach ihren Charakter und ihren alten Baumbestand, alles wie es 1911 geplant und angelegt wurde, bis Mitte der 70er Jahre der Moloch Verkehr, die B 28 mit Schlossbergtunnel, Brücken- und Dammbauten samt Anlage der Auffahrtrampen von der Rottenburger Straße her, die Lindenallee brutal durchschnitten hat. Seltsamerweise scheint sich dabei kaum eine Stimme für den Erhalt der Allee erhoben zu haben. Die jetzt noch bestehenden Reste der bald 500-jährigen Allee sind aber so beeindruckend und immer noch von so großer kulturgeschichtlicher Bedeutung, dass sie in Zukunft vor weiteren Eingriffen geschützt werden müssen. Persönlich bin ich nicht gegen den Bau einer Sporthalle, aber gegen jede weitere Bebauung im Bereich der historischen Alleen, auch dem Naturschutz zuliebe! Die Unterschutzstellung der Lindenallee als flächenhaftes Naturdenkmal ist daher dringend geboten.